Über die Notwendigkeit von Grenzüberschreitungen
Einige Anmerkungen zu den Studierendenprotesten
Gewalt? Von wem gegen Wen? Was ist passiert?
„Demo gegen Studiengebühren eskaliert“ (Spiegel-Online, 6.7.06), „Französische Verhältnisse in Hessen“ (Hessenschau, 6.7.06), „Polizei nimmt 220 Studenten fest“ (FR-Online, 6.7.06), so lauteten die Überschriften über die jüngste Demonstration „für freie Bildung und gesicherte Arbeitsverhältnisse“ in Frankfurt a.M. vom 6.7.06. Differenziert wurde zwischen der friedlichen Demonstration samt obligatorischer Kundgebung und der anschließenden „gewaltsamen“ Spontandemonstration die mit einer versuchten Autobahnbesetzung endete. Hessens Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU) ließ verlauten, dass er es bedauere, dass aus friedlichen Protesten wieder Gewalt hervorgegangen sei. Es wird Zeit zu fragen, was er eigentlich damit meint. Wer übt gegen wen oder was Gewalt aus? Was ist passiert an diesem Donnerstag in Frankfurt, als die Polizei mehr als 200 Leute festnahm?
Zunächst das übliche Spiel. Nach der Kundgebung ertönte irgendwo der Ruf „Autobahn“ und ein Gutteil der DemonstrantInnen setzte sich in Bewegung zum Lieblingsbauwerk der Deutschen. Es wurden Mülltonnen und Bauabsperrungen auf die Straße gezerrt. Dieses Mal musste sogar ein Flaschencontainer samt Inhalt und ein Blumenpott als Barrikade herhalten. Das war die erste Spielart von Gewalt in Gestalt von Zerstörung von Gegenständen. Im Park kam es dann zur Begegnung mit der berittenen Polizei, die jedoch den Protestzug nicht stoppen kann. Nach einem Geländelauf folgte schließlich der Aufmarsch einiger hundert DemonstrantInnen auf die Autobahn, dicht gefolgt von Polizeitrupps. Viele Protestierende konnten sich über die Autobahnböschung zurückziehen, übrig blieben viele der mehr als 200 Festgenommenen. Was machten die eingekesselten? Sicher, es gab Beschimpfungen für die Polizisten, die die DemonstrantInnen zusammen trieben wie eine Viehherde, doch prägend für das Bild war eher, dass beide Arme gehoben und Sprechchöre angestimmt wurden: „Wir sind friedlich, was seid ihr ....“ Die einzige Gewalt an dieser Stelle war das aggressive Geschubse der Polizei. Keine Flaschen, keine Leuchtkugeln, keine Steine! Aus späteren Berichten war zu erfahren, dass sich die übrigen DemonstrantInnen solidarisch gezeigt und von der Autobahnbrücke Gegenstände auf die Polizisten geworfen haben. In Ordnung, das war sicherlich gewalttätiges Verhalten, doch was nicht in der Presse zu lesen war, ist, dass diese erste Gewalt gegen Personen, nämlich Polizisten, eine Reaktion war und keine Aktion. Diesen Unterschied sollte selbst Corts kennen. Doch sonderbar bleibt, dass nicht ein verletzter Polizist gemeldet wird. Dagegen wurde jedoch von Übergriffen mit Pfefferspray und Knüppeln gegen die Protestierenden berichtet. Soviel dazu.
Wem wurde noch Gewalt angetan? Es ist leicht nachzuvollziehen, dass es nicht schön ist, mehrere Stunden in der prallen Sonne zu stehen bzw. im Auto zu sitzen. Genau das ist aber passiert an diesem Donnerstag Nachmittag. Wessen Schuld war es? Was wäre passiert, wenn die Polizei die Autobahn einfach geräumt hätte? Die DemonstrantInnen haben die Straße vielleicht 10 Minuten besetzt, und hätte die Polizei die Autobahn geräumt, so wäre vermutlich nach 30 Minuten die Strasse wieder frei gewesen und nichts wäre passiert. Stattdessen verwandelte die Polizei die Besetzung in eine gigantische Verwaltungsaktion, die dafür sorgte, dass die Autobahn für mehrere Stunden gesperrt blieb. Warum? Frankfurts Polizeipräsident Achim Thiel wies darauf hin, dass „Nötigung und Landfriedensbruch keine Kavaliersdelikte sind“. Also ein Exempel? Doch was soll für wen gezeigt werden? Corts lieferte die Antwort: Gewalt kann keine Diskussionsgrundlage sein ... und der nicht gesagte zweite Teil des Satzes lautet: sondern wird mit Gegengewalt – nämlich Polizeigewalt beantwortet.
Gesetzesbruch = Gewalt?
Jedem sollte klar sein, dass diese Proteste keineswegs der gewalttätige brandschatzende, prügelnde Mob ist, den sich die Herrn Corts, Koch und Bouffier gerne wünschen, sonst würde die Lage sicherlich etwas anders aussehen (vgl. auch das Streitgespräch zwischen Corts und dem Marburger Politikstudenten Juko Marc Lukas, „Wir sind Bildungs-Discounter“, DER SPIEGEL, 27/2006 (nicht mehr frei verfügbar)). Es ist bezeichnend, dass die Diskussion fast nur zwischen Studierenden und der Polizei geführt wird. Thiel zeigte die Grenze deutlich auf: Friedliche Demos ja, Autobahn und Schienen – als Akt der Gewalt betrachtet – nein. Dagegen behauptete der Frankfurter Asta-Vorsitzende Amin Benaissa, dass die Proteste immer noch friedlich wären und kein Interesse an Straßenschlachten bestehe. Benaissa ist sicherlich klar, dass Autobahn-Besetzung einen Gesetzesbruch darstellt und trotzdem ist seine Behauptung vom friedlichen Protest berechtigt, wenn man Gesetzesbruch nicht pauschal mit Gewalt gleichsetzt. Das Stichwort heißt ziviler Ungehorsam oder besser bürgerlicher Ungehorsam. Das ist, wie es auf Wikipedia heißt, der „aus Gewissensgründen und gewaltfrei vollzogene bewusste Verstoß gegen ein Gesetz, eine Pflicht oder den Befehl eines Staates oder einer anderen Macht. Im Gegensatz zu einem Streik ist er nicht rechtlich abgesichert, und der Ungehorsame nimmt bewusst in Kauf, dafür bestraft zu werden. Wer zivilen Ungehorsam ausübt, gilt nicht selten als Staatsfeind, da er eine von ihm als unrechtmäßig und unmoralisch angesehene Herrschaft über seine Aktivitäten ablehnt.“ Der Begriff geht zurück auf den Essay „Resistance to Civil Gouvernment, or Civil Disobidience“ (1849) des US-Amerikaners Henry David Thoreau, der aus Protest gegen die Sklaverei und den Krieg der USA gegen Mexiko (1846-1848) beschloss, keine Steuern mehr zu bezahlen.
Es gilt zunächst, Gewalt zu differenzieren, um dann in einem zweiten Schritt zu fragen, ob sich das Konzept ziviler Ungehorsam auf die Studentenproteste anwenden lässt.
Der erste Punkt ist implizit schon in der gegebenen Analyse enthalten. Wir haben Gewalt gegen Sachen, gegen Personen, die Staatsgewalt, und schließlich die Frage, ob ein Gesetzesbruch schon als Gewalt gewertet wird. Diese Differenzierung wird von Politikern der hessischen Landesregierung konsequent ignoriert. Sicherlich gab es bei den Protesten Sachschäden und Verletzte, doch nicht in dem Ausmaß, als dass man pauschal die Studierendenbewegung als Gewalttäter abtun könnte. Doch die Ignoranz hat Methode, denn so muss man sich nicht um die Gründe für die neue alte Form der Blockade kümmern. Und diese Gründe liegen auf viel fundamentalerer Ebene, als nur im hochschulpolitischen Bereich. Dennoch liefert der Studierendenprotest das Stichwort: „Normaler Protest bringt nichts!“
„Friedlicher“, d.h. als Demo angemeldeter Protest ist zwar eines der Grundrechte unserer Gesellschaft, doch er ist verkommen zu einem bloßen Ritual. Denn Politiker – aller Parteien übrigens – insbesondere aber der Regierungsparteien ignorieren den Protest. Im Gegenteil, jegliche Kritik an ihren politischen Entscheidungen oder der Aufweis offenkundiger Lügen (Bruch von Wahlversprechen) wird weggewischt (siehe bsp. Peer Steinbrück im Interview mit der SZ, 7.7.06. Doch sei erwähnt, dass Steinbrück bemerkenswert offen auf kritische Fragen reagiert hat). Stattdessen spielen sich Politiker wie Volker Kauder als Hobbypsychologen auf und unterstellen 5 Millionen Arbeitslosen Faulheit bzw. zunächst einmal kriminelle Absichten (Missbrauch sozialer Leistungen) (siehe Interview in SZ, 30.5.06). Dass es sich um ein strukturelles Problem handelt, wird hingegen ebenfalls ignoriert. Klassische Warnzeichen einer Demokratie, die mal wieder in die Werkstatt müsste, wie niedrige Wahlbeteiligung werden einfach nicht als Problem wahrgenommen und das schöne Konzept Verantwortung wird delegiert auf die Menschen, die durchs soziale Netz gefallen sind (zum Beispiel auf die rund 500.000 arbeitslosen jungen Menschen unter 25? Dazu unten noch mehr). Schließlich glänzt Bundeskanzlerin Merkel durch ... nun ja ... Nichts. Zu guter letzt gibt es noch die schöne Wendung in der Verfassung, dass Politiker nur durch ihr Gewissen gebunden sind. Losgelöst von öffentlichen Prozessen der Meinungsbildung scheint das Gewissen mehr denn je durch Diskussionen mit Lobby-Gruppen gebildet zu werden, deren Maßstäbe für die Öffentlichkeit kaum durchsichtig sind.
Der öffentliche Diskurs in Deutschland zeichnet sich durch eine vollständige Entrationalisierung aus in der Hinsicht, dass der begründungspflichtige politische Diskurs substituiert wird durch eine Sachzwanglogik, die getragen ist von einem kruden Aufguss einer 230 Jahre alten ökonomischen Theorie, in der die merkwürdig metaphysische regulierende Hand des Marktes die Ausbalancierung einer sozialer Gesellschaftsordnung übernehmen soll (Adam Smith, Wealth of Nations (1776)). Neudeutsch gewendet nennt sich das dann Neoliberalismus. Als Ideologie schiebt sich diese Grundhaltung vor den öffentlichen politischen Diskurs und verhindert so die wirkungsvolle Artikulation der Interessen etwa von Arbeitnehmern und Arbeitslosen oder eben Studierenden. Während die inhaltliche Kritik zwar stattfindet – man denke an das Bild der Hochschule als Dienstleistung – so sorgt die Form der öffentlichen Diskussion dafür, dass die Kritik nach einem Rauschen im Blätterwald rückstandslos verpufft. Diese nimmt zunehmend die Logik eines zwangsläufigen quasi naturgesetzlichen Geschehens an, die es gar nicht zulässt, dass die Bürger dieser Republik anders denn als Statistikmaterial etwa als Wählerstimmen wahrgenommen werden. Dies zieht sich sogar bis in die Selbstwahrnehmung hinein („Aber was soll man denn machen?“).
Die gegenwärtigen Proteste sind nicht nur Ausdruck der Interessen einer Minderheitengruppe. Obgleich es wahr ist, dass die Studierenden mit den Protesten – natürlich – ihre eigenen Interessen verfolgen, so wird mit der Parole „Recht auf Bildung“ mehr angesprochen. Der offenkundige Widerspruch zwischen dem Ruf nach mehr und besser ausgebildeten Akademikern (Neuerdings: „Fachkräfte“) und einer Politik, die von der Schule an genau dies verhindert und eher das Gegenteil erreicht, soll nur am Rand erwähnt werden. Viel wichtiger ist folgender Punkt: Zu einer modernen bürgerlichen Gesellschaft gehört als lebenswichtiger, integraler Bestandteil, dass jeder Bürger selbständig an dem rational geführten Diskurs der politischen Meinungsbildung teilnehmen kann. Und genau dazu braucht es eine solide Schulausbildung – ohne Bildung gibt es kein politisches Bewusstsein. Zweitens sind, der Philosoph Jürgen Habermas weist darauf unablässig hin, staatliche und gesellschaftliche Strukturen keine ideellen Gegenstände, die einmal eingeführt, den Rahmen für ein geregeltes Zusammenleben bilden. Im Gegenteil, Gesetze, angefangen von denen der Verfassung bis hinein in Einzelgesetze, wie Ladenöffnungszeiten oder Arbeitsrecht, erlangen ihre normative Kraft nur dadurch, dass sie ständig reformuliert und aktualisiert werden im Prozess der öffentlichen Auseinandersetzung. Obgleich faktisch diese Diskussionen in Gremien wie dem Verfassungsgericht geführt werden, beziehen sie ihre Legitimation nur durch den Bezug auf den öffentlichen Diskurs, an dem alle Bürger gleichberechtigt teilnehmen. Das Grundgesetz der BRD formuliert das so: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“.
Dramatische Diagnosen wie die PISA-Studie oder auch die katastrophalen Verhältnisse an Hauptschulen zeigen, dass elementare Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen – ja selbst basale Sprachkompetenzen gegenwärtig ein Problem darstellen. Wie steht es da um analytische Fähigkeiten, abstraktes Denken, kreative selbständige Aneignung von Wissen und die Fähigkeit dieses Wissen zu nutzen? Wie soll sich ein Jugendlicher, der kaum Schreiben kann, eine politische Meinung bilden und argumentativ begründen können? Dies ist nicht nur ein Problem der Ausbildungsbetriebe, obwohl zumeist nur unter dem Aspekt der Ausbildungsfähigkeit darauf hingewiesen wird (siehe bsp. „Die Arbeitslosen von morgen“, SZ, 30.5.06), sondern es ist Ausdruck dafür, dass die bürgerliche Gesellschaft ein fundamentales Problem hat.
Kehren wir zurück zu den Protesten und der Motivation, Autobahnen zu besetzen: „Friedlicher Protest bringt nichts.“ Es ist eine bittere Diagnose, die von denjenigen Menschen dieser Gesellschaft gestellt wird, die – noch – die besten Chancen haben, sich umfassendes Wissen anzueignen und sich relativ unabhängig von ökonomischen Zwängen am politischen Diskurs der Meinungsbildung zu beteiligen. Und es ist eine Diagnose, die nur die Spitze eines gesellschaftlichen Problems von ungeheuren Ausmaßen ist: Die Bürger dieser Gesellschaft verlieren das, was sie von Untertanen eines Obrigkeitsstaates trennt, nämlich ihre politische Stimme. Es kann nicht sein, dass die Bürger von ihren Repräsentanten als Stimmvieh, Schmarotzer und Steuerlieferanten wahrgenommen werden, nicht aber als das, was sie eigentlich sind: die Legitimationsbasis für eben diese Regierungen (von Bund und Ländern).
Ziviler Ungehorsam als letzte Möglichkeit der politischen Partizipation?
Die bewusste Übertretung von Gesetzen zum Zweck des gewaltfreien Widerstands gegen politische Missstände erscheint unter diesem Licht als die vielleicht letzte Möglichkeit, eine politische Stimme zu äußern. Und es ist ein Protest – die verschiedenen Vertreter der Studierenden und selbst der Gewerkschaften betonen dies immer – der nicht dem Selbstzweck von Krawallen und sinnloser Gewalt gegen Sachen und Personen dient, sondern der Artikulation von sowohl partikularen Interessen als auch gesamtgesellschaftlichen Problemen (Es wird auf den Widerstand gegen Sozialabbau unablässig hingewiesen, obgleich dieser Aspekt in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird).
Der Selbstvergleich der Studierenden mit den Proteste in Frankreich weist auf mehrere Punkte hin. Erstens: Dort wurde anhand einer konkrete Möglichkeit anschaulich, dass mit Protest etwas zu verändern ist. Das bietet die für eine bürgerliche Gesellschaft lebenswichtige Einsicht, aus der fatalen Logik des Sachzwangs (der merkwürdigerweise immer auf der Seite der Machthabenden steht) auszubrechen und die politische Diskussion mit neuem Leben zu erfüllen. Zweitens: Die französische Regierung hat sich tatsächlich der politischen Macht der Protestierenden gebeugt (Das Gesetz zur Revision des Kündigungsschutzes wurde gekippt). So wie es in einer liberal verfassten Republik sein sollte. Deutsche Politiker hingegen begegnen Kritik an ihren Handlungen in der Regel eher mit Achselzucken. Die schöne demokratische Sitte des Rücktritts von Ministern wird lediglich als Druckmittel für innere Konflikte der Regierung benutzt (siehe Kurt Beck), oder als Feigheit denunziert (siehe Oskar Lafontaine). Von Verantwortung gegenüber „ihren Wählern“ – der Instanz, die Politikern ihre Macht auf Zeit verleiht - ist hingegen nicht viel zu spüren. Nebenbei gefragt: Fühlt sich jemand in der großen Koalition verantwortlich für die Gesundheitsreform oder sind je die anderen schuld?
Gerade die hessische Regierung Koch – die ihren Wahlkampf 1999 mit undemokratischer rassistischer Hetze gewonnen hat (Unterschriftenaktion gegen doppeltes Staatsbürgerrecht) – reduziert ihre Verantwortungspflicht gegenüber den Bürgern darauf, sich alle – inzwischen – fünf Jahre wählen zu lassen bzw. wie Corts, die Auseinandersetzung um Studiengebühren auf eine bloße Meinungsverschiedenheit herabzusetzen. In dem Moment, wo politische Partizipation sich auf das demokratische Mindestmaß der Wahl beschränkt, und inhaltliche Diskussionen allenfalls in Details etwas verändern, wird die Volkssouveränität entwertet – der demokratische Prozess der politischen Meinungsbildung und Artikulation von Interessen verkommt zum bloßen Schmuck der gesellschaftlichen Ordnung. Mit anderen Worten, wenn die politische Stimme der Bürger ihre normative Kraft verliert, verwandelt sich die bürgerliche Demokratie in das Zerrbild des aufgeklärten Absolutismus eines Friedrich II, der Große, in dem alle vier oder fünf Jahre ein neuer Potentat seine Einzelinteressen, die ihm welches Gewissen auch immer diktiert, verfolgen kann. Der Philosoph Immanuel Kant hat dem preußischen König den Satz „Räsonniert soviel ihr wollt, aber gehorcht“ in den Mund gelegt, der diesen Obrigkeitsstaat bündig zusammenfasst. Ein Blick ins Geschichtsbuch zeigt, wohin der preußische Militarismus schließlich geführt hat.
Viele Protestierende, aber vermutlich auch viele andere Bürger (man denke an die Fruchtlosigkeit der Proteste gegen Hartz IV) spüren diesen Verlust ihrer politischen Stimme. Es ist keineswegs so, wie es von vielen Medien dargestellt wird, dass niemand die Haltung der aktiv Protestierenden teilt. Mündlicher Zuspruch von Passanten und auch zustimmendes Hupen von Autofahrern, die durch die Proteste behindert werden, zeugen vom Gegenteil. Ziviler Ungehorsam ist eine radikalere, aber dennoch friedliche Form des Widerstands, die noch die nachhaltige Artikulation der politischen Stimme eines jeden Bürgers zulässt. Es ist kein gutes Zeichen für eine Demokratie, wenn dies die letzte Möglichkeit ist, sich Gehör bei seinen gewählten Vertretern zu verschaffen. Doch es ist eine urbürgerliche Form des Protests, die genauso zum Wertekonsens der westlichen Gesellschaften gehört wie das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, Privatsphäre, allgemeines, unmittelbarer, freies, gleiches und geheimes Wahlrecht. Vielleicht täte es gut, die Politiker dieses Landes mal wieder daran zu erinnern, dass sie keinen Monopolanspruch auf Politik haben. Die aktive – nachhaltige - Auseinandersetzung aller Menschen einer Demokratie mit politischen Inhalten ist ein zentraler Punkt, der sie von totalitären Diktaturen unterscheidet.
Die 235 Festgenommenen vom letzten Donnerstag in Frankfurt waren keine Krawallmacher, sondern in der überwiegenden Mehrzahl diejenigen normalen DemonstrantInnen, die es nicht mehr aus dem Polizeikessel geschafft haben. Und sie artikulierten mit ihrem Protest eine politische Stimme, die sich gegen eine Regierung richtet, die als einzige Antwort auf nachhaltigen Protest Polizeigewalt kennt.
Die Protestform der Autobahn-Besetzung ist kein unmotivierter Krawall, sondern die Reaktion auf eine gefährliche Entwicklung in der bundesrepublikanischen politischen Kultur. Daher sollten sich die Protestierenden nicht kriminalisieren lassen, sie präsentieren der hessischen Regierung, aber auch der Bundesregierung nur die Rechnung für eine fatale politische Praxis, die sie selbst zusammen mit ihren Vorgängern verschuldet haben. Um es mit dem umgewendeten Bonmot von Polizeipräsident Thiel zu sagen, die einzigen in dieser Republik, die vielleicht an die kurze Leine genommen werden müssten, sind die Politiker der regierenden Parteien.
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