Bonjour Tristesse

Montag, April 27, 2009

Soziale Unruhen?

Es wurde ja die Tage erstaunlich oft vor "Sozialen Unruhen" gewarnt. Die Bourgeoisie muss es ja echt toll getrieben haben, dass sie es selbst schon öffentlich äußert. Aber vermutlich ist es nur eine Warnung, dass "diese Kampfstation voll bewaffnet und einsatzbereit ist", wie es der Imperator mit einem gehässigen Lachen auszudrücken pflegte.
Eine andere Möglichkeit ist jedoch, dass einige Politiker auch das schöne Büchlein von Jacues Ranciere, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie (Frankfurt 2004) gelesen haben und sich ganz so toll vorkommen wie der geheime Rat älterer Weiser hinter den Kulissen des römischen Senats: "Die wissen, dass eine Ära, wenn sie zu Ende ist, wohl oder übel zu Ende ist." (S. 37) Und was da zu Ende geht, ist nichts weniger als eine weitere Phase Klassenkampfs, der - so Rancieres doch recht verblüffende Lesart der antiken "Klassiker" - nichts anderes ist als der Grund für die Erfindung von Politik selbst ist. Und auf die Moderne angewandt, ist Rancieres Einsicht:
"Es gibt eine Art des Zusammenseins, die nach ihren ,Eigentümlichkeiten' die Körper auf ihren Platz und an ihre Funktion verweist, nach ihren Namen oder dem Fehlen ihres Namens, dem ,logischen' oder ,phonischen' Charakter der Töne, die ihrem Mund entweichen. Der Grundsatz dieses Zusammenseins ist einfach: es gibt jedem Teil, der ihm zukommt, nach der Offenbarkeit dessen, was er ist. Die Weisen des Seins, die Weisen des Tuns und die Weisen des Sagens - oder des Nichtsagens - verweisen genau aufeinander. Die Skythen geben davon ein barbarisches Beispiel, wenn sie denen die Augen auskratzen, die nur mit ihren Händen die Aufgaben ausführen, die sie ihnen Befehlen. Die Patrizier, die nicht die Sprache derer vernehmen können, die keine haben, geben davon das klassische Modell ab. Die ,Politiker' der Kommunikation und der Umfrage, die zu jedem Moment jedem von uns das ganze Schauspiel einer gleichgültig gewordenen Welt und die genaue Rechnung dessen, was jede Altersklasse und jede beruflich-gesellschaftliche Kategorie über die ,politische Zukunft' dieses oder jenen Ministers denkt, vorführen, könnten gut eine exemplarisch moderne Art davon sein. Es gibt einerseits diese Logik, die die Anteile der Teile zählt, die die Körper im Raum ihrer Sichtbarkeit oder ihrer Unsichtbarkeit verteilt, und die Weisen des Seins, die Weisen des Tuns und die Weisen des Sprechens, die jedem zukommen, in Übereinstimmung bringt. Und es gibt die andere Logik, jene, die diese Harmonie aufhebt durch die einfache Handlung, die Zufälligkeit der Gleichheit beliebiger sprechender Wesen zu aktualisieren, die weder arithmetisch noch geometrisch ist." (S. 38)
Nichts ist so wirkungsvoll, wie eine verblüffende Idee...